Europameisterschaft der internationalen Ein-Meter-Klasse.

Was treibt einen dazu, sich eine Woche lang mit wütend protestierenden Regattaseglern rumzuärgen, wenn man doch zeitgleich auch Modellsegelveranstaltungen der freundlichen Sorte im Rahmen der I.G. mini-sail besuchen könnte?

1998_em_IOM_1Nun, ich hatte schon immer ein Interesse daran, meine Vorurteile bestätigt zu sehen. Außerdem schien eine Woche im sonnigen Portugal eine nette Abwechslung zum Diplomstreß an der Uni zu sein. Und auch Erzählungen von früheren  internationalen Veranstaltungen mit mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen zur vollständigen Zerstörung des - leider meist eigenen - Modells versprachen einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert. Zwar war mangels Regattaerfahrung an eine gute Plazierung nicht im Traum zu denken, aber man muß doch irgendwie alles mal mitgemacht haben.

Also wurden die entsprechenden wichtigen Formulare ausgefüllt und an den Klassenobmann Heinz Bohn geschickt, in der Erwartung, bei dieser Gelegenheit die Namen der anderen deutschen Teilnehmer mitgeteilt zu bekommen. Leider beschränkte sich diese Liste auf gerade mal einen: Nur Jürgen Hoffmann wollte sich noch auf die Sache einlassen. Jetzt kann man natürlich sagen, daß die Weltmeisterschaft in Malta nächstes Jahr die attraktivere Veranstaltung sei. Es kann doch aber nicht Sinn einer normalen Qualifikation über die Ranglistenposition sein, daß man die Europameisterschaft auslassen muß, wenn man auf die Weltmeisterschaft will, nur weil zeitgleich drei Ranglistenregatten stattfinden, auf denen man Punkte sammeln sollte. Hier sollten sich die Organisatoren doch bitte etwas besser über feststehende internationale Termine informieren.

Die Reisevorbereitungen und die Anreise waren an sich unspektakulär, sieht man einmal davon ab, daß die Buchung einer Unterkunft nach etwa zwei Monaten erfolglosen Faxens nur mit Unterstützung des Veranstalters zustande kam. Auch sorgen zwei riesenhafte, wenn auch leichtgewichtige Pappkartons am Check-In im Flughafen für keinerlei Schwierigkeiten, außer man steht hinter den Leuten mit diesen ominösen Kartons in der endlosen Schlange. Allerdings wissen wir nun, daß die Sicherheitsbeamten weder von Fernsteuerungen noch von Bleibomben mit Edelstahlspitzen im Handgepäck begeistert sind, ebensowenig wie portugiesische Taxifahrer von riesigen, wenn auch leichten Pappkartons. Letztendlich kamen wir dann aber doch in unsere Pension in Matosinhos, dem Nachbarort des Veranstaltungsorts Leca de Palmeira, gelegen am Porto de Leixoes, dem Tiefwasserhafen der nordportugiesischen Großstadt Porto. Zwar waren wir bereits am Donnerstag, also drei Tage vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung angekommen. doch machten wir uns trotzdem noch an diesem Abend auf die 25 Minuten Fußweg zum Yachthafen, als ob wir diese Strecke nicht noch oft genug zu laufen haben würden.

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Dort angekommen, erst einmal Verwirrung: Außerhalb der Marina, aber noch innerhalb der Hafenmole erstreckte sich eine weite Fläche ruhigen Wassers unter dem blauen Himmel - dummerweise aber runde vier Meter unter der Pier. Und nirgends eine Möglichkeit, an das Wasser herunterzukommen, schon gar nicht mit einem Boot in der einen und einem Sender in der anderen Hand. Im Yachthafen selber sollte dies zwar kein Problem darstellen, die Stege waren ja extra für so etwas Ähnliches angelegt worden (falsche Bootsgröße allerdings), nur waren die Platzverhältnisse dort mehr als nur beengt. Die Zweifel wurden vorerst ausgeräumt, als wir im Restaurant des ausrichtenden Vereins Sport Club do Porto einen der Organisatoren, Alfredo Santos, beim Essen trafen. Er bestätigte unsere Vermutung, daß die Veranstaltung außerhalb der Marina im Hafen  stattfinden sollte und daß die am Ende der Pier aufgestellten Container und Kioske für uns vorgesehen seien. Außerdem sollte noch eine Plattform angelegt werden, von der aus die Boote zu Wasser gelassen werden könnten. Nunmehr sicher, daß wir prinzipiell bei der richtigen Veranstaltung gelandet waren, folgte am Freitag erst einmal eine Besichtigung von Porto, die leider im Rahmenprogramm nicht vorgesehen war.

Da bereits am Samstag eine Möglichkeit zur Registrierung und Vermessung gegeben wurde, verbrachten wir den Vormittag damit, unsere Modelle von der Pension zum Yachtclub zu bekommen, was Dank der Unterstützung eines Mitglieds des Organisationskomitees dann letztendlich auch klappte. Die Vermessung ging sehr schnell über die Bühne, ein kurzer Blick auf den nationalen Meßbrief, und schon waren Boot und Riggs gestempelt. Weder der internationale Meßbrief noch das Zertifikat für die ordnungsgemäße Segelkennzeichnung, die kurz vor der Veranstaltung noch eiligst besorgt worden waren, wären nötig gewesen. Die einzige Kontrolle, der jedes Boot unterzogen wurde, waren die Gewichte vom kompletten Modell und vom Kiel alleine. Zwar war ein Meßtank vorhanden, dieser wurde aber nur sporadisch und mehr von neugierigen Teilnehmern als von den eigentlichen Vermessern benutzt.

Das schöne Wetter schrie geradezu nach einer kurzen Testrunde im Hafenbecken. Zwar war von dem versprochenen Ponton noch nichts zu sehen, aber an einer Stelle der Pier war es möglich, auf dem Bauch liegend das Boot an der Mastspitze ins Wasser zu setzen. Nach einigen Minuten Segelns mit Gegenlicht stellte ich dann auch fest, daß meine Segelnummer offenbar auch von Graham Elliot gefahren wurde. Zum Glück bemerkte ich, daß ich das falsche Boot steuerte, bevor sich mein eigenes Modell auf die andere Seite des Hafens davon gemacht hatte.

Daraufhin führte ein Blick in die Startliste am Sonntag zum üblichen Hinzufügen einer „I" vor der Segelnummer, eine später stattfindende Diskussion mit einem portugiesischen Teilnehmer, der genau diese Nummer mit Filzstift auf seine Segel gemalt hatte, führte dann zum weniger üblichen Entfernen der hinten stehenden „2" im Segel, und ein kurzer Streit mit der Rennleitung führte schließlich auch dazu, daß ich die mit dem Organisationsteam verabredete "14" auch tatsächlich fahren konnte.

Die offizielle Eröffnung der Veranstaltung erfolgte am Sonntag abend mit einer Flaggenparade, bei der kurioserweise fur die nicht erschienenen russischen Teilnehmer gleich zwei Flaggen gehißt wurden Der anschließende Begrußungscocktail bot fur Jurgen dann endlich die Gelegenheit, die Formel-1-Ergebnisse des Tages einzuholen

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Montag, der erste Regattatag, begrußte uns erst einmal mit Windstarke 6 und einem halben Meter Welle Die  Steuermannsbesprechung war fur 9:30 Uhr, der erste Start fur 10:00 Uhr vorgesehen Gegen 11 Uhr hatte dann wohl jeder kapiert, daß man hier mit einer etwas anderen Einstellung an die Organisation geht und um 11:30 Uhr konnten endlich die Vorlaufe gestartet werden.

Leider legte der Wind gegen Nachmittag noch weiter zu, so daß wir Schönwettersegler mit den ungewohnten Bedingungen doch sehr zu kämpfen hatten. Auch rächte es sich gleich am ersten Tag, daß die beiden kleineren Riggs mangels Wind an den heimischen Gewässern noch nie richtig an ihre Grenzen gebracht werden konnten - hier wurden sie über ihre Möglichkeiten belastet. Allerdings hatten nicht nur wir Schwierigkeiten. Die "Widget" von Mirko Zule wurde kurz vor dem endgültigen Abtauchen vom Rettungsboot eingefangen, nachdem sich eine selbstklebende Decksfolie gelöst hatte. Chris Dicks "Metrick Magic" geriet so unglücklich zwischen Ponton und Kaimauer, daß der Holzrumpf auf beiden Seiten aufplatzte und nach einer nächtlichen Laminieraktion den Rest der Veranstaltung mit schicken schwarzen Zierstreifen segelte.

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Von den ersten Defekten also gleich ausgebremst, durften wir am nächsten Tag dann in der vierten von vier Gruppen starten. Das heißt, der erste Start fiel für mich erst einmal aus, da ich durch Zufall morgens bemerkte, daß sich die Befestigungsmutter in meiner teuren englischen Kohlefaserflosse gelöst hatte. Zum Glück ging die Rennleitung auch diesen Tag gemächlich an, so daß ich mit dem ebenfalls anwesenden Hersteller der Flosse genug Zeit für die Reparatur hatte.

Bei den an diesem Tag vorherrschenden leichteren Winden gelang es uns dann auch, den Anschluß an das mittlere Drittel des Feldes zu finden. Gegen Abend schlief der Wind fast vollständig ein, so daß der letzte Lauf nach 25 Minuten abgebrochen werden mußte. Und das, nachdem wir den nicht gerade klein abgesteckten Kurs am Vortag in kaum mehr als fünf Minuten absegeln konnten.


Erfreulich an den Ergebnissen bis zu diesem Zeitpunkt war, daß die Briten trotz ihrer erdrückenden Zahl von 13 Teilnehmern sowie des für Norwegen startenden Engländers Graham Elliot, die Spitze nicht unter sich ausmachten. So waren der Italiener Puthod, der Franzose Chapelot und der Kroate Kovacevic ständig vorne zu finden, meist sogar vor den favorisierten Roberts und Bantock.

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Auch am Mittwoch breitete sich am Morgen nicht unbedingt die Hektik an der Startstelle aus. Der Wind war etwas frischer als am Vortag, so daß zeitweise mit dem mittleren Rigg gesegelt werden mußte. Außerdem drehte er im Laufe des Tages von Südwest nach Nord, d. h., es wurden keine Wellen mehr zur Hafeneinfahrt hereingetrieben.

Darüber hinaus hörte es endlich auf zu regnen, gingen doch an den beiden vorangegangenen Tagen ständig kurze Schauer nieder. Und wie es so kommen mußte: Kaum sind die Wetterbedingungen so, wie man sie sich zum Segeln wünscht, kommen die Proteste und machen einem das Vergnügen wieder kaputt. Bis zum Ende der Veranstaltung kam allerdings keiner darauf, daß die Protestiererei hier zu nichts führt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Fast alle Proteste wurden verworfen oder für ungültig erklärt, zum Leidwesen von Graham Elliot, der als einziger gleich zweimal disqualifiziert wurde. Und so steigerte man sich von drei Durchgängen an den ersten beiden Tagen auf stolze vier für den Rest der Regatta, also ganze achtzehnmal Segeln in fünf Tagen!

Für den Mittwochabend war ein gemeinsames Barbecue im Restaurant des Yachtclubs angesetzt, und nach einem kurzen Abstecher zum Hotel gesellten wir uns zu den bereits zahlreich anwesenden Briten an die Bar. Was uns mit der Zeit dann stutzig machte, war, daß kaum noch andere Teilnehmer den Weg nach oben in das Restaurant fanden. Und als allmählich die Salatbar abgebaut und samtliche Stühle um uns herum weggetragen wurden, entschlossen wir uns, vielleicht doch einmal nach unten auf den Vorplatz zu schauen. Und siehe da, hier war bereits eine riesige Party im Gange, die den Organisatoren in dieser Form wohl total aus dem Ruder gelaufen war. Jedenfalls waren einige entsetzte Portugiesen in ihren Clubsakkos bemüht, den Schaden am Mobiliar, das immer noch von der Veranda heruntergereicht wurde, in Grenzen zu halten. Dafür war die Stimmung phantastisch, die Grills und vor allem die beiden Weinfaßchen ständig umlagert, und jeder offensichtlich bemüht, sich dem Startgeld entsprechend den Magen vollzuschlagen.

Dementsprechend verkatert war der größte Teil der Skipper am Donnerstag, der wieder mit sehr leichtem Wind begann. Ausgerechnet an diesem Morgen aber wollte die Rennleitung Pünktlichkeit lernen und startete den ersten Lauf um genau 10.03 Uhr. Graham Bantock konnte sich im Verlauf des Tages allmählich auf die zweite Position vorschieben, und auch der englische Meister Paul Jones, der in den ersten Tagen technische Probleme hatte, fand sich nach einigen Leichtwindsiegen plötzlich in der Spitzengruppe wieder. Davon unbeeindruckt behauptete Pierre Luigi Puthod den ersten Platz in der Gesamtwertung.

Das am Abend stattfindende informelle Treffen der ISAF-RSD (International Sailing Federation - Radio Sailing Division) schien nicht gerade auf sonderlich großes Interesse zu stoßen. Denn von den sowieso nicht gerade zahlreich erschienenen Teilnehmern traf sich ein beträchtlicher Teil nach einiger Zeit an der Bar, statt darüber zu streiten, ob nun Kugellager, Foliensegel oder gar das Heat Racing System abgeschafft werden sollten.

Bis zum Donnerstag abend waren noch die meisten überzeugt, daß der neue Europameister der Ein-Meter-Klasse aus Italien kommen würde. Doch es sollte ganz anders kommen. Zum einen sorgte der Freitag nämlich mit B-Rigg-Wind noch einmal für Leben auf dem Wasser. Schlimmer für den führenden Puthod war aber, daß die Woche mit Salzwasser und Regen nun auch von ihm Tribut forderte. Schließlich fand sich Puthod in der C-Gruppe wieder, und Graham Bantock hatte sich mit einer zwar beständigen Leistung, aber eigentlich sehr wenigen Laufsiegen den Titel erobert.

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Die Siegerehrung muß leider unter den Punkten verbucht werden, die die Organisation nicht im Griff hatte: Wenn ein Dinner angekündigt wird, kann man seine Gäste nicht 2 1/2 Stunden lang mit Häppchen hinhalten, dann den zehn Erstplazierten die Preise übergeben und dann sagen: Das war's!

Auch sehr ärgerlich war, daß die Wettfahrtleitung gröbste Regelverstöße wie Bahnabkürzen nicht zur Kenntnis nehmen wollte, von Standard-Luv-Lee-Situationen ganz zu schweigen. Ebenfalls war unschön, daß keine aktuellen Ergebnislisten ausgehangt wurden, daß sich die Besatzung des Rettungsbootes oft sehr geruhsam an die Arbeit machte, und daß in den Containern ständig der Strom und damit sowohl Licht als auch Ladegeräte ausfielen. Darüber hinaus dauerte es sehr lange, bis nach einem Lauf dreizehn Boote einzeln über den Ponton aus dem Wasser gebracht und die nächsten dreizehn Boote eins nach dem anderen eingesetzt wurden, was genauso wie die wenig entschlußfreudige Jury zu oft nervtötenden Wartezeiten beitrug.

Von der technischen Seite führte die Veranstaltung wieder einmal zur Erkenntnis, daß fast alle geläufigen Entwürfe in der Internationalen Ein-Meter-Klasse konkurrenzfähig sind. Zwar belegten die bei der letzten Weltmeisterschaft so erfolgreichen "TS 2" hier gute Plätze, doch finden sich unter den Top 10 in der Mehrheit schmale Boote wieder. Eines davon, die als mäßig schmal zu bezeichnende "Scoop" des Italieners Puthod, war unter allen Bedingungen vorne dabei und verpaßte den Sieg nur durch Probleme mit der Elektrik. Die siegreiche "Ikon" und die drittplazierte "Mirage" sind zwar durch die "TS 2" beeinflußte neue Entwürfe, die aber lange nicht deren extreme Breite (vor allem am Heck) besitzen. Auch die Diskussion über die Kielformen fand hier nicht zu einem Ende: Während Bantock unter seiner "Ikon" die bekannte Flosse mit sehr großer Fläche und einer sehr schlanken, angeblich hydrodynamisch sehr ausgefeilten Ballastbombe fuhr, glänzte Puthods "Scoop" mit einer sehr schmalen Flosse und einer gedrungenen Ballastbombe, die darüber hinaus noch eine tiefe seitliche Bohrung für die Befestigungsschraube und ein abgeschnittenes, stumpfes Ende hatte. Alle Formen und Größen von Ruderblättern waren zu sehen, ebenso alle erlaubten Arten, das Großsegel am Mast zu befestigen. Auch die Entwürfe bestimmter Konstrukteure haben nicht grundsätzlich die Nase vorne: So finden sich Boote des neuen Europameisters Bantock auf den fünf letzten Plätzen.

Es hilft also leider nach wie vor nur eins: Besser segeln als die anderen!

logosmOriginal erschienen in der Zeitschrift Schiffsmodell  des Neckar-Verlags 8/1998 Autor:Michael Wolf.
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Geschrieben von: Michael Wolf
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