Der Anlass zu dem Ereignis Fleetwood '82 war - für die Modellsegler weltweit - ein besonderer: 50 Jahre Marblehead-Klasse, d.h. die am weitesten verbreiteten Modelljachten wurden im Mai 1932 zur offiziellen Klasse erklärt. Zur Historie muss man dabei folgendes anmerken:

1982_fleetwood_3Bereits Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre wurde in den USA nach dem Typ einer handlichen, aber auch segeltüchtigen Modelljacht von 50 inch Länge und einer Segelfläche von max. 800 sq. inch Ausschau gehalten. Der Anstoß kam vom Modelljacht-Club der Stadt Marblehead im Staate Massachusetts mit seinem rührigen Kommodore, Roy L. Clough. Und in diesem Club erfolgten dann auch Entwicklung, Konstruktion sowie die ersten Tests.

Die Ausgewogenheit des neuen Bootstyps sicherte den „Marbleheads" schnell wachsende Beliebtheit bei den Modellseglern sowie eine zunehmende Verbreitung. So entschloss sich 1932 auch die MYRAA (Modell Yacht Racing Association of America) zur Einführung als nationale Klasse. Zu Ehren der Initiatoren gab man ihr den Namen „Marblehead-Klasse", von unserer heutigen Modelljacht-Szene, sowohl bei RC- als auch bei den Freiseglern, nicht mehr fortzudenken.

1982_fleetwood_6Im Jahr 1934 existierten in den USA schon über 1000 Jachten der M-Klasse, und die Modellsegler anderer Länder begannen, sich gleichfalls für den neuen Bootstyp zu interessieren. Neben den USA engagierten sich besonders die englischen Modellsegler; auf der Jahrestagung der IMYRU (International Model Yacht Racing Union) 1937 in Fleetwood erhielten die Marbleheads offiziell ihren Status als internationale Modelljacht-Klasse. Damit war der Durchbruch geschafft, eine breite Anerkennung erreicht.

Und heute? Allein in England hat sich die Zahl der registrierten M-Boote in den letzten 10 Jahren annähernd verdoppelt, von 1 600 auf über 3 000; davon wiederum zum heutigen Zeitpunkt etwa 800 - 1 000 aktive Segler. Diese Zahlen (von denen wir im nauticus nicht einmal zu träumen wagen) beinhalten sowohl RC-Modelljachten als auch eine immer noch beträchtliche Anzahl (mindestens 25 bis 30 %) von Freiseglern, über die später noch ein Wort gesagt werden muss.

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Der Fleetwood Model Yacht and Power Boat Club (wie sein offizieller Name lautet) als Veranstalter und Ausrichter der Marblehead-Jubiläums-Regatta wurde bereits 1929 gegründet und zählt über 100 aktive Mitglieder, sowohl Segler als auch Rennbootfahrer und Fans von Scale-Modellen. Gesegelt werden, RC- und Freisegler, im wesentlichen die Klassen M, 10 R sowie die größere A-Klasse; die Naviga-Klasse F5-X ist nicht eingeführt und auch nicht bekannt.

Der Club hat das große Glück, eine einmalig schöne Sportanlage zu besitzen, die, zumindest in Europa als eine der best geeignetsten gilt: ein künstlicher, 1932 erbauter „Model-Yacht-Pond" von 256 m Länge mit betoniertem Uferstreifen, 64 m breit und mit etwa 1 m Wassertiefe. Landschaftlich schön gelegen, befindet sich der See unmittelbar hinter einer der Irischen See vorgelagerten Düne. Bis auf Ausnahmetage bestehen praktisch keine Windprobleme, im Gegenteil - wir konnten uns davon überzeugen - es geht auch schon mal hart zu.

Die englischen Modelljachten sind aber für diese Verhältnisse konzipiert, sie sind durchweg schwerer gebaut, mit höherem Freibord, keine Windy- oder Flipper-Typen (bzw. deren Abwandlungen). Das Rigg zumeist schmal hoch, wobei gewisse Vermessungs-Unterschiede (Achterliek-Vermessung!) im Vergleich zur Naviga-Regel '81 den englischen Booten zugute kommen; wir schätzten etwa 1,5 bis 2 qdm mehr Segelfläche.

Vor den Sport haben die Götter (zwar nicht den schweiß, aber) die offensichtlich unabdingbare Eröffnungs-Zeremonie gesetzt mit Bürgermeister und Stadtrat, mit Ansprache und abendlichem Empfang durch die Stadtgremien. Immerhin verdankt aber der Club vieles dem guten Einvernehmen mit Behörden und Stadt-Offiziellen. Fleetwood, ein Badeort an der Irischen See mit Kleinstadtcharakter, etwa 28 000 Einwohner, liegt an der Flussmündung des Wyre, 10 km nördlich des bekannten Badeorts Blackpool. Eine Veranstaltung wie die Marblehead-Jubiläums-Regatta stellt darum auch ein gewisses Ereignis für die Bevölkerung und für viele Interessenten dar, zumal der Modell-Jacht-Club offensichtlich eine anerkannte Institution mit Tradition und Ausstrahlung ist.

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Die Eindrücke, die wir Teilnehmer mitgenommen haben, sind in erster Linie natürlich vom sportlichen Geschehen und vom Regatta-Ablauf geprägt. Um es vorwegzunehmen, sehr positiv. Gesegelt wurde an 5 Tagen, jeweils abwechselnd - einmal vormittags, einmal nachmittags - mit den Freiseglern. Die 36 RC-Segler, davon 7 nauticus- und 2 DSV-Mitglieder, fuhren in drei 12er-Gmppen nach einem (gegenüber der Naviga-Regelung) modifizierten Flottensystem, d.h. mit Auf- und Absteigen der jeweiligen drei Erst- und drei Letzt-Plazierten jeder Gruppe.

1982_fleetwood_4Der Regatta-Kurs verlief als liegende 8 über die volle Distanz des Sees, Start und Ziel auf halber Länge. Das heißt, dass die Skipper, am Ufer auf- und abtrabend, in jedem Lauf eine Strecke von gut 500 m zu segeln hatten. Da täglich 6 Läufe mit Punktwertung (Auf- und Absteigen) durchgeführt wurden, bestand also ausreichend Gelegenheit zum Segeln und natürlich auch für vielerlei Platzverschiebungen. Und das Ganze bei strahlendem Sommerwetter, bei zumeist guten bis sehr guten Windverhältnissen und unter freundschaftlichen und sportlich-fairen Bedingungen, so wie man es sich nur wünschen kann.

Es ist ja immer wieder interessant festzustellen, wie die Modellsegler in unseren Nachbarländern ihren Sport betreiben. Ich erinnere an die Schweiz, an die jährlichen Regatten in Champex, mit den unterschiedlichen Kursen. Neu und für uns Segler vom„Kontinent" ungewohnt, aber nichtsdestotrotz interessant und reizvoll, die „3-Minuten-Regel" von Fleetwood; das läuft wie folgt: Nachdem der jeweils Erste eines Laufs die Ziellinie passiert hat, gibt die Regie (lies Tonband) folgende Durchsage: „You have exactly three minutes to pass the line". Das bedeutet, dass alle nachfolgenden Boote innerhalb dieser 3-Minuten-Frist die Ziellinie passieren müssen, um noch in die normale Punktwertung zu kommen. Bei Überschreiten des Zeitlimits (was am ersten Regattatag bei nur schwachen Winden häufig eintrat) erhalten gleichmäßig alle Boote die Punktzahl des Lauf-Letzten, plus einem zusätzlichen Strafpunkt. Sie sehen, lieber Leser, man lernt nie aus. Es gibt so viele Möglichkeiten, Regatten interessant und abwechslungsreich zu gestalten.

Sie wollen nun sicherlich wissen, wie das nauticus-Team abgeschnitten hat. Nun, in jedem Fall besser als anfänglich 1982_fleetwood_7erwartet. Dass keine ersten Plätze unter den ungewohnten Bedingungen und neuen Verhältnissen zu erwarten waren, liegt auf der Hand. Immerhin konnte Hermann Etzel (G 132) einen 9. Platz und Janusz Walicki (G109) einen 11. Platz erringen, während, wie zu erwarten, die ersten 6 Plätze an die englischen Spitzensegler gingen. Sie sind schon sehr gut und erfahren, die englischen Modellsegler. Schließlich war es aber auch die erste Garnitur der MYA (Model Yacht Association, englischer Modellsegler-Dachverband), die in Fleetwood an den Start gingen, sie kamen aus 10 verschiedenen englischen Clubs.

Der Vollständigkeit halber und um einer objektiven Beurteilung der Ergebnisse gerecht zu werden, muss ich doch noch mal auf die eingangs erwähnten Unterschiede in der Vermessung eingehen. Während nach der Naviga-Regel '81 das Achterliek bei Fock und Groß eine Rundung von max. 5,1 cm aufweisen darf, wobei der Begriff einer Rundung genau definiert ist, ist es den englischen Booten gestattet, das Maß für die Achterliek-„Rundung" voll zu nutzen, d.h. eben keine Rundung, sondern mit einem gerade verlaufenden Achterliek über die ganze Länge zusätzliche 50 mm Liekbreite zu gewinnen, die in der Vermessung der Segelfläche nicht zugerechnet wird.

Es ist leicht einzusehen, dass durch diese Handhabung - je nach Segelschnitt - ohne weiteres 1,5 bis 2 qdm (oder auch mehr) gewonnen werden können. Dass sich dabei unsere Boote doch noch beachtlich platzieren konnten, verdient Anerkennung. Und diese Anerkennung gilt in einem besonderen Maß unseren österreichischen Segelfreunden, Dr. Robert Stiegler und Sohn Hermann, die mit ihren ebenfalls nach Naviga- Reglement vermessenen Booten im Feld der 36 Teilnehmer sogar Platz 7 und 8 belegen konnten.

1982_fleetwood_5Da einigen von Ihnen der eine oder andere englische Segler bekannt ist, sollen der Ordnung halber hier auch die Namen der drei Erstplazierten aus der Konkurrenz der RC-Piloten genannt werden:

Sieger und 1. Platz der Jubiläums-Regatta: Chris Dicks
2. Platz: Barry Jacksen
3. Platz: Dave Andrews

Eingangs avisierte ich noch eine Anmerkung zum Stichwort ,,Freisegler". Diese, uns wenig geläufige Spezies der Modellsegelei verdient nach Beobachtung der englischen Freisegler einer besonderen Erwähnung. Nach landläufiger Meinung sind die Freisegler in erster Linie in den osteuropäischen Ländern zu Hause, und zwar dort aus einem gewissen Mangel an Fernsteueranlagen; vielfach in durchaus bemerkenswerter Weise als Starthilfe für Anfänger und ernsthafte Interessenten, vorzugsweise in Jugendgruppen. Nicht so in England.

Hier ist der Modellsport mit Freiseglern keine Verlegenheitslösung. Vielmehr existiert innerhalb der englischen Clubs eine beachtliche Zahl von Modellseglern, die - mit technischem Geschick und seglerischem Können ihre Boote in den eingangs aufgeführten Klassen, ohne Fernsteuerung, aber mit Windruder, über den Kurs steuern. Bei einer Kurslänge (wie in Fleetwood) von über 250 m nicht ganz einfach. So benötigt auch jeder Pilot eine Hilfskraft für das gegenüberliegende Ufer, um auf der Kreuz das Boot vor Berührung jeweils auf den anderen Bug zu legen.

1982_fleetwood_8Je weniger nun gewendet werden muss, umso besser, d.h. schneller sind verständlicherweise die Boote und desto größer ist die Siegeschance. Die Läufe der Freisegler bestehen natürlich nicht nur aus dem Kreuzkurs, sondern auch aus einem anschließenden Vor'm-Wind-Kurs, zurück zur ersten Startstelle. hier wird's dann interessant, das Kommando lautet jetzt: ,,Heiß Spinnaker!" So kommen sie dann wie geblähte Schwäne mit voller Fahrt, mehr oder weniger gradlinig, wieder zurück, ein schöner Anblick.

Aber wie funktioniert das nun alles? Wir RC-Segler leben heute natürlich in erster Linie von und mit der Ausrüstung unserer Fernsteueranlagen; Systeme und Bauelemente aus dem Bereich der modernen Elektronik sind uns inzwischen selbstverständlich geworden. Wir glauben vielleicht sogar, ohne das würde nichts gehen.

Ich kann nur empfehlen, sich dann einmal die ausgetüftelte Mechanik der Windruder mit ihren komplizierten Übersetzungen zur Steuerung der Jacht und zur automatischen Segelverstellung anzusehen. Der Laie kann hier nur staunen. Es gehört neben dem seglerischen Können zweifellos viel Kenntnis und Geschick sowie Liebe für technische Präzision und Detailarbeit dazu, diesen Modellsegelsport zu betreiben und Erfolge zu erzielen. Insofern haben wir deutschen Teilnehmer wiederum interessante Eindrücke gewinnen können.

Der Abschluss der Marblehead-Jubiläums-Regatta gab Gelegenheit, den englischen Modellseglern neben einem aufrichtigen Dankeschön für Gastlichkeit und freundliches Entgegenkommen die Anregung zu geben, auch uns einmal aus Anlass einer ähnlichen Veranstaltung zu besuchen.

1982_fleetwood_9Wenn die große Familie der Modellsegler ehrlich an der Internationalität unseres Sports interessiert ist, sollten wir sehr intensiv nach Wegen suchen, zumindest in Europa, häufiger gemeinsame Regatten durchführen zu können; und dabei dürfen die englischen Segelkameraden zweifellos nicht fehlen. Es wäre eine dankbare Aufgabe und ein erstrebenswertes Ziel - sicherlich nicht von heute auf morgen zu realisieren - , hieran zu arbeiten.

Kompromissbereitschaft und gemeinsame Bemühungen sind dabei notwendig, um gewisse Unterschiede in Vermessung und Regelwerk zu überbrücken. Und wir sollten für einen ernsthaften Anfang auch nicht auf Beschlüsse des Managements und der Dachverbände warten. Auf Club-Ebene liegen am ehesten die Möglichkeiten, unbürokratisch und mit gutem Willen einen Neubeginn zu erreichen; haben doch viele unserer deutschen Heimatorte Partnerschaften mit englischen Städten. Könnte dies nicht ein erster gangbarer Weg sein?

Derartige etwas nachdenkliche Überlegungen sollen nun aber der Schluss meines Berichts sein, um damit das Erlebnis Fleetwood '82 in guter Erinnerung ausklingen zu lassen.

logosmOriginal erschienen in der Zeitschrift Schiffsmodell  des Neckar-Verlags 8/1982 Autor:Horst Krönke. Sollten hiermit irgendwelche Rechte verletzt werden bitte melden. Ich werde dann den Artikel sofort entfernen.

Geschrieben von: Horst Krönke
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