In diesem Jahr wurden die 6. Weltmeisterschaften der „Zehner", also unserer Ten-Rater oder F5-10R, in Frankreich ausgetragen. Man hatte sich ein Regattarevier in der Nähe von Paris, in Viry Chatillon, südlich vom Flugplatz Orly ausgesucht. Leider hatte niemand von uns dieses kleine Gewässer vorher gesehen.

Der interessierte Segler stelle sich einmal einen 1000 X 700 m großen See vor, der in nordwest-/süd-östlicher Richtung liegt. Genau in der Mitte wird er durch zwei 50 m breite Landzungen wie eine Wespentaille so eingeschnürt, daß hier nur eine 30 m breite Durchfahrt verbleibt. Auf der Spitze der östlichen Landzunge war unsere Startstelle. Die Uferböschung war etwa 5 Meter hoch und mit 10-15 m hohen Bäumen bewachsen. Das westliche Ufer, also die hauptsächliche Windrichtung, stieg zwar langsam, aber stetig bis zu 40 Meter Höhe an. Natürlich standen auch hier Bäume in unterschiedlicher Höhe und Dichte.

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Gestartet wurde fast immer in Richtung auf die sehr nahe gegenüberliegende Uferseite zu, leider aber auch durch den 30 m breiten Schlauch hindurch. Alle Segler wissen, was das bedeuet: Unregelmäßige Windstärken, nicht vorhersehbare Anderungen der Windrichtung bis zu 90 Grad. In den Flautenlöchern blieben immer wieder einige Boote so lange stehen, bis das ganze Feld, oft in nur 10 Meter Abstand, in aller Ruhe vorbeigefahren war. Und wenn das nicht ausreichte, um einige Segler zu benachteiligen, dann fanden sich bestimmt noch ein paar Wasserpflanzen, die sich am Kiel festsetzten und auf diese Weise das Boot zum Stehen brachten. Kurzum: Leider kein "weltmeisterliches" Gewässer, ich selbst war davon zweimal betroffen. Das war immer der sichere Abstieg.

Die besten Verhältnisse fanden wir eigentlich nur am ersten und am letzten Tag vor, weil die Windrichtung verhältnismäßig günstig war und der Wind sogar einmal zeigte, daß er auch etwas stärker blasen konnte. Damit keiner denkt, es sei jetzt etwa stürmisch geworden: Das A-Rigg konnten wir (bis auf einen Lauf am ersten Tag) immer fahren.

Nach eingehender gründlicher Vermessung stellten sich dann 31 Teilnehmer aus 7 Nationen dem Wettkampf. Bei der Vermessung war allerdings Geduld angesagt. Die kürzeste Zeit waren 25 Minuten, aber für manche Boote wurden bis zu 75 Minuten benötigt, weil einige Segler keine oder keine richtigen Meßbriefe hatten. Dabei wurden dann noch alle metrischen Maße in Zollmaße umgerechnet.


Da hatte am Ende der Veranstaltung die Vorsitzende des Rate-Committees, Bernardette Delbart, schon recht, als sie meinte, wir sollten uns dringend bemühen, für die Modellsegler einfachere Regeln Zu finden, am Land, aber auch auf dem Wasser - und zwar so schnell wie möglich. Vorweg sei gesagt, daß sie als „Race Committee Chairman" ihre Sache ausgezeichnet machte und für einen zügigen Ablauf und eine gute Organisation am Wasser sorgte.

Trotzdem konnten wir am Montag um 14 Uhr in drei vorher ausgelosten Gruppen starten und die vorgesehenen drei Vorläufe auch noch am gleichen Tage beenden. Leider kamen durch die Auslosung sehr oft die gleichen Segler in dieselbe Gruppe. Bei der Berechnung für das Flottensystem wurden nur zwei Läufe bewertet, weil einer dieser Läufe ein Streichlauf war.

10r_1991_wm_2Der Start hinein in den Schlauch. Vorne rechts W. Gerhardt (G 77) und G. Schmidt (G 61)

So begann dann die Regatta am Dienstag mit drei deutschen Seglern in der A-Gruppe, weil Janusz Walicki und Werner Gerhardt mit je zwei 1. Plätzen und Peter Gernert mit einem 1. und einem 4.Platz ihre Vorläufe hervorragend beenden konnten.

Dabei konnten wir so starke Leute wie Sol, Momo, den späteren Weltmeister Lucas und Boisnault, den M-Boot Weltmeister, einwandfrei in unseren Gruppen hinter uns lassen. Gerhard Schmidt kam durch die Plätze 3 und 7 in die B-Gruppe, während Arno Ladwig als 7. und 8. in  seinen Vorläufen in die C-Gruppe mußte.

Dieses gute Eraebnis kam natürlich durch die besten Windbedingungen der ganzen Veranstaltung zustande. Der Wind war sehr böig und von Minute zu Minute unterschiedlich stark. Der erste Lauf mit dem A-Rigg, der zweite mit dem B-Rigg, aber dann wurde im dritten schon gepokert. Für den einen Segler war das hohe Rigg zuviel, für den anderen das kleine zu wenig. Ein Boot mit hohem Swing-Rigg bohrte sich kopfüber ins Wasser und legte sich so weit auf die Seite, daß der Mast fast 1 Minute unter der Wasseroberfläche blieb. Ich dachte schon, das Boot würde jetzt untergehen oder es hätte den Kiel verloren, als es sich dann doch plötzlich wieder aufrichtete. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen.

Erfreulich war, daß es nach den beiden ersten Tagen mit insgesamt neun Durchgängen nur zwei Proteste gab, die verhandelt werden mußten. Es wurde allgemein sehr fair gesegelt, so daß wir während der ganzen Veranstaltung höchstens 3-4 Stunden durch Protestverhandlungen verloren haben. Ansonsten haben alle ihre Strafkringel freiwillig gedreht.

10r_1991_wm_3Der spätere Weltmeister P. Lucas auf dem Weg zum Ponton.
Man beachte die Bäume an der Startstelle!

Dabei muß man allerdings sagen, daß es bei einigen Situationen nur deshalb keine oder nur sehr kurze Verhandlungen gab, weil bei manchen Kontakten zwischen französischen Booten gar nicht "Protest" gesagt wurde und/oder die französischen Observer diese Berührungen - auch mit fremden Booten - einfach gar nicht gesehen hatten. Unser Protest dagegen nützte gar nichts. Ich selbst konnte zwar einen Protest gegen einen französischen Segler gewinnen, obwohl auch hier wieder die Observer „gar nicht so genau gesehen hatten", wie und wo es passiert
war. Gott sei Dank waren diese Situation und unsere Aussagen eindeutig genug.

Am zweiten Tag sah es dann schon etwas anders aus. Obwohl wir uns noch eine Weile in der A-Gruppe halten konnten, hatten wir alle am Ende des Tages den Wechsel zwischen den Gruppen A und B erleben müssen. Selbst Janusz brachte es fertig, eine falsche Boje zu runden, abzusteigen und dann den Wiederaufstieg aus der B-Gruppe erst im zweiten Anlauf zu schaffen. Die B-Gruppe war nämlich so stark, daß selbst für sehr gute Segler der Wiederaufstieg in die A-Gruppe nicht selbstverständlich war.

So war denn am zweiten Tag unser "Glückspilz" Peter Gernert als einziger von uns ständig in der A-Gruppe. Sein Boot lief besonders bei raumen Kursen ausgezeichnet. Darüber hinaus hatte er sehr oft das Glück, daß er von den Änderungen der Windrichtung profitieren konnte. Und wenn das alles nicht half und er schon auf einem Abstiegsplatz war, wurde vorne noch jemand hinausprotestiert, so daß er in der Gruppe bleiben konnte. Das alles soll jedoch seine Leistung nicht schmälern, denn er segelte sehr beständig und besonnen. Außerdem
hatte er eine gute Segeleinstellung gefunden und kam immer besser mit seinem Boot klar.

10r_1991_wm_4 P. Gernert freut sich über seinen 6. Platz

Sein Boot wurde dann allerdings noch so geschickt gerammt, daß das Foliendeck ein großes Loch erhielt und der Kahn wie die TITANIC in
kurzer Zeit über den Bug in den Fluten versank. Es dauerte über eine Stunde, bis man mit Schleppankern sein Boot gefunden und geborgen
hatte. Sein Glück verließ ihn aber dennoch nicht, denn nun dauerte eine Protestverhandlung so lange, daß an diesem Tage nicht mehr gesegelt wurde. Meine Frau mußte ihr Reisebügeleisen herausgeben, damit Peter sein neues Deck aufbügeln konnte. Am nächsten Morgen war er wieder startklar. Jetzt weiß er sogar, daß er eine wasserdichte Segelwinde hat.

Zuerst sah es so aus, als ob der junge englische Segler Peter Wiles einen klaren Durchgang auf den ersten Platz machen könnte. Erst ein verlorener Protest am Freitag warf ihn zurück, und er fand danach nicht mehr so richtig zu seiner Form. So mußte er sich mit einem vierten Platz zufriedengeben.

Auffällig war, daß die Swing-Rig-Boote zum Teil mit Großsegeln antraten, deren Vorliek 2,40 m lang war. Wenn da bei diesen schwachen Winden ein oder zwei Boote hinter uns herfuhren, blieb für unsere nur zwei Meter hohen Segel kein Wind mehr übrig. Kam dieser Wind auch noch über die Bäume, so waren diese hohen Segel ohne Frage im Vorteil.

Etwa die Hälfte der Boote wurde mit einem Swing-Rig gesegelt. Wie bekannt, haben sie natürlich auf den Vorwindkursen ihre Stärken. Trotzdem fand man sie gleichmäßig verteilt in allen Gruppen wieder, obwohl einige Boote (zum Beispiel von Boisnault und anderen) mit einer Wasserlinienlänge von nur 1,21 Meter vermessen wurden. Ihre Segelfläche war dann natürlich bei 2,50 Meter Höhe sage und schreibe 10150 cm² groß. Sie konnten also glatt 1000 cm² mehr als wir zur Wirkung bringen. Diese Boote waren auch noch 300 g leichter als unsere. Da weiß natürlich jeder Segler, was das bei leichtem achterlichem Wind bedeutet.

Leider kam die Regattaleitung diesen Booten auch noch dadurch entgegen, daß das „Olympische Dreieck" so flach war, daß wir es überwiegend mit achterlichen Kursen zu tun hatten. Es fehlten die "Halbwindstrecken", so daß die Boote mit konventionellen Segeln stark benachteiligt waren. Erst am letzten Tag rafften sich Neuseeländer, Engländer und wir uns auf, gegen diese Kurslegung zu protestieren. Der Erfolg war, daß die Swing-Rig-Segler ganz plötzlich und für alle offensichtlich ihre Vorteile verloren und wir sofort viel besser aussahen. Gerhard Schmidt und ich konnten ganz locker neben dem Weltmeister Lucas Bord an Bord an der Spitze mitsegeln.

Daraus haben wir natürlich gelernt, daß vorsichtige Hinweise auf solche Mängel nichts nützen. Bei nächsten Gelegenheiten sollte sofort energisch gegen die Wettfahrtleitung protestiert werden, damit nicht eine ganze Regatta unter vermeidbaren ungünstigen Verhältnissen leidet.


10r_1991_wm_5Die drei Erstplazierten

Was gibt es sonst noch Bemerkenswertes zu sagen? Leider habe ich keine besonders herausragenden technischen Neuheiten gefunden. Alles was ich dort gesehen habe, ist schon einmal beschrieben worden.

Das längste, deshalb von der Regattaleitung besonders erwähnte Boot war 1,63 m lang, 1,35 m im Wasser und 8,17 kg schwer. Es landete auf dem 25. Platz.

Die meisten Boote waren 1,30-1,40 m lang und hatten eine kürzere Wasserlinie als 1,35 m, über 50 % sogar unter 1,30 m.

Die entsprechenden Segelflächen lagen deutlich über 9000 cm². im Mittel etwa bei 9600-10000 cm². Unsere Segel gehörten mit etwa 9100
cm2 zu den absolut kleinsten. Peter Gernert hatte mit 9800 cm² die größte Segelfläche unserer Mannschaft.

Die Gewichte der Spitzen-Boote lagen in etwa alle näher bei 6,O kg, aber maximal bis 7,O kg. Das schwerste Boot brachte 8 kg auf die Waage. Das absolut leichteste Boot mit 5200 g, und mit 3850 g auch mit dem leichtesten Kiel, hatte unser P. Gernert ins Rennen geschickt; es hat ihm ja auch den erhofften Erfolg gebracht.

Die Tendenz für Leichtwindreviere geht also eindeutig in die Richtung kurzer und leichter Boote mit großer Segelfläche und möglichst hohem Rigg, bis zu 2,50 m Höhe.

Der veranstaltende Club hatte sich große Mühe gegeben und mit Erfolg und Geschick für ansprechende Verpflegung und abendliche Unterhaltung mit Grillessen usw. gesorgt; man erfreute uns sogar mit einem anschließenden, recht ansehnlichen Feuerwerk. Diese Abende ließen uns die heißen Tage mit Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad etwas erträglicher erscheinen. So ein reines Vergnügen war es nämlich nicht, denn es wurde von 10-19 Uhr gesegelt und insgesamt immerhin 32 Durchgänge mit 3 Gruppen, also 96 Läufe durchgezogen.

Im großen und ganzen war es eine gelungene Veranstaltung mit dem erfreulichen Ergebnis, daß sich trotz schwieriger Umstände immer noch 4 unserer Segler unter den ersten elf plazieren konnten.


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logosmOriginal erschienen in der Zeitschrift Schiffsmodell  des Neckar-Verlags 10/1991 Autor: Werner Gerhardt. Sollten hiermit irgendwelche Rechte verletzt werden bitte melden. Ich werde dann den Artikel sofort entfernen.

Geschrieben von: Werner Gerhardt
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