Ein recht einfaches Mittel, einmal jemandem eine kleine Freude zu machen und ein lächelndes Gesicht zu sehen, ist, ihm zu erzählen, dass man sich ein Modellyacht baut und damit Regatten segeln will. Dann fühlt sich der Andere immer sofort himmelhoch erhaben über solch kindliches Beginnen, lächelt milde und fragt im besten Falle wohlwollend: „So, so! Also Sie wollen Schiffchen schwimmen lassen? Hm! Das ist wohl ein ganz nettes Spiel, wenn man nichts Besseres zu tun hat?" - Der Mann hat entschieden recht. Der Modellyachtsport ist ein Spiel, und ein sehr nettes sogar, aber er ist noch mehr, denn er entbehrt dabei keineswegs eines ernsteren Hintergrundes. „Im Spielen lernt man" ist ein altes Sprichwort, und Sport selbst bedeutet ursprünglich ja überhaupt nichts anderes als Spiel.

1904_1Seit einiger Zeit hat man aber begonnen, den praktischen Nutzen von Modellversuchen einzusehen, denn es gibt im Schiffbau so sehr viele Probleme, denen nur mit Hilfe von Modellversuchen beizukommen ist. Wir haben jetzt bereits nicht weniger als drei ganz modern eingerichtete Schleppversuchsstationen, in Bremerhaven, Berlin und Dresden, und auch in Hamburg werden augenblicklich höchst wertvolle Untersuchungen angestellt. Es ist längst einwandsfrei festgestellt worden, dass man die durch Modelle gewonnenen Ergebnisse unter Anwendung gewisser Vorsichtsmassregeln sehr wohl auf die Vorgänge am großen Schiff übertragen kann, und darin liegt der Hauptwert dieser Versuche.

Der Modellyachtsport unterscheidet sich von diesen Schleppversuchen aber sehr wesentlich dadurch, dass die Modelle nicht geschleppt werden, sondern selbst segeln, sodass sich eine Regatta demgemäß etwa folgendermaßen abspielt. Eine Anzahl Boote sind gemeldet worden, leichte, zierlich ausgeführte, 50 bis 100cm lange Modelle, die den großen Yachten entweder genau ähneln, oder den kleinen Massen entsprechend verändert sind. Die Startlinie wird entweder durch ein dazu geeignetes Ufer gebildet, oder man verankert ein Boot an passender Stelle an das die Boote der Teilnehmer (Yachtbeiboote, Jollen usw.) in langer Kiellinie festgebunden werden. Der Wind sorgt dafür, dass sich diese Reihe in die Windrichtung einstellt, und so ist auf einfachste Weise eine gerade Startlinie festgelegt.

Man hat nun drei Arten von Regatten: Am Winde, mit halbem Winde und vor dem Winde. Bei der ersten Art wird das Boot, in dem sich die Zielrichter befinden, unter etwa 40° zur Startrichtung voraus in der gewünschten Entfernung verankert. Durch Peilung nach einer passenden Landmarke wird eine zur Startrichtung parallele Ziellinie festgelegt, und nun kann die Wettfahrt beginnen. Die Teilnehmer machen ihre Modelle zum Amwindsegeln bereit, indem sie die Schot des Klüvers etwas mehr anholen als die Großschot. Dann werden die Boote ins Wasser gesetzt und beim Startzeichen nach dem Ziele abgelassen. Von nun an sind sie sich selbst überlassen und müssen sich also auch selbst steuern. Der hart angeholte Klüver ist nun bestrebt, den Bug des Bootes vor den Wind zu drehen, dadurch kommt aber mehr Winddruck auf das Großsegel, der Bug wird wieder nach Luv zurückgedrückt und das Boot segelt also allein am Winde unter dem gewünschten Winkel weiter.

1904_2Wir haben also hier dasselbe Prinzip, das man bei längeren Kreuzfahrten mit großen Yachten gern anwendet. Wenn der Kiel nicht zu kurz ist, segelt die Yacht mit festgebundenem Ruder und der eben erwähnten Segelstellung stundenlang am Winde, ohne das man die Pinne anzurühren braucht. Beim Modellyachtsport hat man natürlich auch schon längst andere Hilfsmittel erfunden, z.B. Windfahnen, die das Ruder entsprechend legen, denn es ist schmerzlich für den Gegner, wenn das Modell plötzlich seine eigenen Wege geht und nicht mehr mitspielen will.

Was nun die Form der Modellboote anbetrifft, so kann man zwei Hauptarten unterscheiden: Modelle, die den großen Yachten in allen Dimensionen gleichen (also auch im Verhältnis zur Größe nur ebensoviel Ballast und Segel tragen als das große Vorbild), und Modelle, bei denen man den Rumpf so leicht als möglich baut, um möglichst viel Ballast und große Segel geben zu können. Die erste Art ist natürlich für die Wissenschaft wertvoller, da man direkt Schlüsse auf die große Yacht ziehen kann, aber die zweite Art ist einfacher, leichter und ohne große theoretische Kenntnisse herstellbar und segelt schneller.

Man hat natürlich schon viele Vermessungsbestimmungen durchprobiert und hat z.B. am Anfang nur die Länge gemessen. Dabei war man damals der Meinung, dass ein Modellboot vor allem eine möglichst geringe Reibungsfläche besitzen müsste, und dass man bei den doch immerhin nicht allzu großen Geschwindigkeiten auf den Formwiderstand weniger Rücksicht zu nehmen brauchte. Man baute also kurze, breite Modelle mit sehr vollem Hauptspant und vollen Linien und bekam dadurch bei geringer Reibungsfläche ein unverhältnismäßig großes Deplacement, so dass man eine Unmasse Ballast hineinpacken konnte. Die dadurch gewonnene gewaltige Stabilität erlaubte eine unglaublich große Segelfläche, so dass diese Boote mit ihren langen Klüverbäumen bald nichts Yachtähnliches mehr hatten. Dann nutzte man das Messverfahren noch mehr aus und baute möglichst tiefe Wulstkiele, um die Stabilität noch mehr zu vergrößern. Natürlich machten solche Boote keinen Anspruch auf Schönheit, und das hat wohl manchen abgehalten, dem Modellyachtsport näher zu treten, denn ein an die schönen Linien moderner Yachten gewöhntes Auge schaudert beim Anblick dieser „Schiffsgefäße". Man hat schließlich diesem Übelstande durch ein neues Messverfahren abgeholfen, dass Länge, Breite, Tiefgang und Segelfläche gerechter besteuert und dadurch Yachtähnliche, schöne Modelle begünstigt. Dabei hat sich gleichzeitig herausgestellt, dass man auch den Formwiderstand nicht so ganz vernachlässigen darf, sodass die Sieger der Regatten jetzt durchaus Yachtähnlich aussehen. Beispielsweise ist der Wulstkieler auf den nebenstehenden Bildern ein Modell der bekannten Loesner'schen „Betty" und ist, wie man sehen kann, mit peinlichster Genauigkeit nach dem Original gearbeitet und hat dabei fast jedes Rennen gewonnen. Der stattliche Schoner im nächsten Bilde wird wohl schon manchem Besucher des Schlachtensees bekannt sein und wird jedenfalls auf den offenen Regatten der jetzt ins Leben tretenden Modellvereine noch viel von sich reden machen.

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Diese Bilder zeigen außerdem, dass solche Modelle auch gleichzeitig einen schönen Zimmerschmuck abgeben können, und das ist ein Grund mehr zur Erbauung einer Modellyacht, die doch immerhin ziemlich viel Arbeit mit sich bringt. Ein solches von der Deckeherabhängendes oder passend im Zimmer aufgestelltes Modell wird auch dem Laien durch seine schönen Formen Freude machen und nicht nur den Segler erfreuen, dem bei seinem Anblick die Erinnerung auftauchen wird an fröhliche, sonnige Stunden auf weißbeschwingter Yacht oder siegreichen Kampf mit Sturm und See. Es ist etwas sehr Schönes um solches Träumen in alten sommerlichen Erinnerungen und trägt sehr dazu bei, dem Segler seine Yacht lieb und wert zu machen.

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Aber auch andere rein praktische Gründe empfehlen den Modellyachtsport. Er ist in hohem Grade geeignet, unserem schönen Segelsporte junge, begeisterte Anhänger zu werben. Jeder Schüler, der einige Handfertigkeit besitzt, kann sich leicht ein Modell bauen und damit Regatten bestreiten und wird später, nach verlassen der Schule, auch sicherlich nicht dem Segelsport untreu werden. Und junges Blut und junge, dienstwillige Mannschaft kann jeder Yachtbesitzer gebrauchen. So mancher Schüler fasst ein glühendes Interesse für das Seewesen und dokumentiert dies zumeist dadurch, dass er versucht, sich ein Modell zu erbauen. Natürlich Misslingt der erste Versuch, gewöhnlich aus Mangel an Anleitung, und damit geht auch leicht das Interesse verloren. Hier können die Modellyachtvereine helfend eingreifen und durch geeignete Veröffentlichungen dafür sorgen, dass das Interesse der Jungen angeregt und in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Dann wird nicht allein das Interesse am Seewesen und allen maritimen Fragen unserer Nation zunehmen, sondern auch für den Segelsport wird ein direkter, greifbarer Erfolg erzielt werden. Gewöhnlich spielt sich doch der Werdegang des jungen Seglers so ab, dass der junge Mann nach einigen Fahrten im fremden Boot den Drang verspürt, sich selbständig zu machen. Er sucht also einen „Gelegenheitskauf" und wird dabei in den meisten Fällen fürchterlich übers Ohr gehauen. Bald macht ihm die alte Jolle kein Vergnügen mehr, denn sie will natürlich nicht laufen, und so wird dem jungen Manne leicht der Segelsport gänzlich verleidet. Spätestens nach dem ersten Kentern verschwindet er von der Bildfläche und trägt nun noch durch seine Erzählungen dazu bei, die alte Meinung aufrecht zu erhalten, dass der Segelsport teuer sei.

Ein alter Modellyachtsegler, der einen Blick für gute Bootsformen bekommen hat, wird sich jedenfalls, wenn er die Augen aufmacht, vor einem solchen „Gelegenheitskauf" hüten.

1904_5Zum Schluss noch einige Worte über die Anschaffungskosten eines Modells von ca. 50cm Länge. Der Holzblock ist für 50Pfg. zu haben. Die Segel aus Seide kosten ca. 2,50 Mk. Und das Übrige, wie Masten, Tauwerk, Farbe, Bootslack und Blei wird sich auf höchstens 3 Mk. Stellen. Man kann also für 6 Mk. Ein tadelloses Modell haben, wenn man es sich selber baut, denn der Arbeitslohn würde sich auf mindestens 25 Mk. Stellen. Der Rumpf kann, wenn man Augenmaß und Formensinn hat, ganz ohne Zeichnung, nur nach dem Gefühl, aus einem vollen Holzblock mit Stemmeisen und Hohlmeißel herausgearbeitet werden. Wenn man dann mit den Fingerspitzen liebkosend über das Modell streicht, wird man leicht herausfinden, wo das Wasser zu viel Widerstand treffen wird. Das Formgefühl wird sehr schnell durch solche kleine Arbeit entwickelt, und man wird sogar von dieser Zeit an überall vielmehr Schönheit entdecken und sogar größeren Genuss als früher bei der Betrachtung von Bildwerken haben. Wer's nicht glaubt probier's!

In unserem Zeitalter der Motore ist noch ein neuer Gedanke aufgetaucht. Es ist vorgeschlagen worden, auch Rennen von kleinen Motorbootsmodellen zu veranstalten. Es könnte dabei eine Einheitsmaschine (Preis ca. 6 Mk.) verwendet werden. Wenn dann nur noch, wie in Kiel, die größte Länge vorgeschrieben wird, so wäre dem Konstrukteur große Freiheit in der Formgebung gelassen, und man könnte also die verschiedenartigsten Formen durchprobieren. Dieses Verfahren dürfte vielleicht für Motorbootsbesitzer nicht uninteressant sein.

Original erschienen in der Zeitschrift Yacht 21/1904 Sollten hiermit irgendwelche Rechte verletzt werden bitte melden. Ich werde dann den Artikel sofort entfernen.

Geschrieben von: Faas, Henning
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