Vienne, das ist ein schönes Departement mitten in Frankreich. Zwischen Loudun im Norden und Civray im Süden erstreckt sich eine wirklich sehenswerte Landschaft. Einige Nebenflüsse der Loire, deren Ufer fast genauso dicht mit Schlössern gesäumt sind wie die der Loire selbst, fließen durch dieses Departement, es gibt viele Wälder, Weinberge, interessante alte Städte ... und mittendrin St.-Cyr, ein kleines Dorf ca. 15 km nördlich von Poitiers mit einem tollen Campingplatz an einem großen See. Zugegeben, für das Drumherum hatten einige Leute vom 1 .-7. Juli überhaupt keinen Blick übrig: 74 Modellsegler aus 9 Nationen haben sich in dieser Zeit ganz und gar auf ihre Ein-Meter-Boote konzentriert, um bei der Europameisterschaft 2000, die hier in St.-Cyr stattfand, möglichst gut abzuschneiden.
Das deutsche Team
Neben Startern aus England, Frankreich, Italien, Spanien, Slowenien, Portugal, Kroatien und Neuseeland (als Gast) haben sich auch sieben deutsche Teilnehmer auf den Weg nach Frankreich gemacht. Jens Amenda (GER 124), Heinz Bohn (GER 14), Dieter Halle-Krahl (GER 92), Erik Pawlowitz (GER 234), Michael Scharmer (GER 09), Frank Schröder (GER 132) und Jochen Weiß (GER 07) waren schon am 30. Juni in St.- Cyr angekommen - erst einmal fast ein bisschen enttäuscht, denn statt der erwarteten Vermessung und hektischer Betriebsamkeit rund um die Startstelle fand man nur gähnende Leere vor: Noch nichts aufgebaut, kaum bekannte Gesichter und schon gar keine Vermessung oder Anmeldung. Mit schön fast südländischer Gelassenheit wurde die Segelschule noch ein wenig aufgeräumt und irgendwann abends hing dann ein Schild aus: „Anmeldung morgen ab 9.00 Uhr". Da sich unsere 7 Segler nun einen ganzen Tag gedulden mussten, waren sie am nächsten Morgen fast nicht mehr zu halten! Frühstücken und dann ab zur Startstelle. Dabei war die ganze Geschichte mit Anmeldung und Vermessung in Nullkommanichts erledigt, da zuerst einmal nur die Gewichte der Boote kontrolliert wurden. Na gut, so blieb wenigstens noch etwas Zeit, um schon mal ein paar Schläge zu segeln oder ein wenig zu relaxen, bevor man sich zur Eröffnungsfeier mitten ins Geschehen stürzte. Mit der uns jetzt schon bekannten Gelassenheit fing auch die Eröffnungsfeier etwas später an als geplant. Als es dann endlich losging, wurde dafür gleich mit Pauken und Trompeten gestartet. Und das im wahrsten Sinne des Wortes!
Die offizielle Eröffnungsfeier der EM 2000 begann mit dem Einmarsch der St.-Cyr-Fanfarengruppe. Zugegeben, es sah ganz gut aus, hörte sich aber nicht ganz so gut an, denn es war recht selten, dass die ganze Truppe zur gleichen Zeit den richtigen Ton traf. Aber was für die Ohren ein wenig gewöhnungsbedürftig war, war zumindest hervorragend fürs Gemüt, denn ein Grinsen konnte sich wohl keiner verkneifen! So ging es dann mit bester Stimmung in das Festzelt, wo der Abend nach der Vorstellung der Mannschaften und einzelnen offiziellen Ansprachen gemütlich bei Wein und deftigen Spezialitäten der Region ausgeklungen ist.
Nach der ganzen Gelassenheit und Gemütlichkeit wurde es dann aber doch ernst! Im Vergleich zu allen anderen Veranstaltungen starteten die Läufe morgens nämlich pünktlich auf die Minute! Wind war am ersten Tag auch genug da, konnte also kaum noch etwas schief gehen. Dachten alle! Na gut, der eine oder andere hat während der Läufe ein bisschen Unkraut im Wasser geangelt, manch einer konnte den ersten Durchgang aber auch gleich ganz vergessen. Denn jeweils nach den ersten Läufen wurden die Boote noch einmal zur Vermessung gerufen. Diesmal sollten Tiefgang und Länge der Boote kontrolliert werden und dabei hat's einige erwischt. Um nicht disqualifiziert zu werden, haben die betroffenen Teilnehmer den Lauf von sich aus zurückgezogen (bei einer Disqualifikation gibt es nämlich Strafpunkte, die nicht mehr gestrichen werden können und wer legt darauf schon Wert?) und anschließend an ihren Booten gewerkelt, um alles regelkonform hinzubiegen. Ärgerlich, sich durch so eine Sache viele Punkte einzufangen, aber was blieb anders übrig?! O.k., den ersten Ärger hinter sich gelassen, wollten alle am zweiten Tag mit Schwung in die Wertungsläufe starten. Von wegen! Der schöne Wind vom Vortag war weg. Flaute! Was da auf dem Wasser lief, war wohl mehr dümpeln als segeln. Da half auch alles Warten nichts, der Wind wollte einfach nicht auffrischen. Also hat man sich andere Beschäftigungen gesucht: Sonnenbaden war ganz beliebt, Fachsimpeleien sowieso, manch einer hat fehlenden Schlaf nachgeholt, und das italienische Lager sorgte für die musikalische Untermalung, dieses Mal aber schön anzuhören. Am nächsten Tag kam dann der Wind zurück und wurde von nun an immer stärker. Dummerweise stieg mit zunehmendem Wind auch die Anzahl der Proteste - Spitzenreiter waren hier eindeutig die Slowenen, die in einem Lauf sage und schreibe 6 Proteste eingelegt hatten. Damit verlängerte sich natürlich auch die Wartezeit zwischen den Läufen, mit anderen Worten: Jetzt war zwar Wind da, aber viel mehr Läufe als am Flautentag hat man auch nicht segeln können.
Da kam der Mittwoch gerade recht. Kein Segeln, kein festes Programm, einfach tun und lassen wozu man Lust hat. Viele haben die Chance genutzt und sich doch mal in der Gegend umgeschaut und etwas unternommen. Es gab aber auch einige, die sich nicht von ihrem Boot trennen konnten und für die nächsten Tage fleissig geübt haben. So haben die Italiener zum Beispiel gleich mit der ganzen Mannschaft Starts geübt - mit Erfolg, wie sich später herausstellen sollte, denn die Mannschaftswertung haben sie mit Abstand gewonnen.
Am Abend wurde ein Ausflug zum Futuroscope angeboten. Das ist ein großer Freizeitpark, in dem sich fast alles ums Kino dreht: 3-D-Kinos, Rundumkinos und zum Abschluss eine große Lasershow. Ein Ausflug, der sich wirklich gelohnt hat, auch wenn es abends ein wenig später geworden ist und damit das Aufstehen am nächsten morgen etwas schwer fiel. Der kräftige Wind hat die Müdigkeit aber schnell weggeblasen. Zum Ärger der Segler war der Wind allerdings nicht ganz konstant. Er hat ständig ein wenig geschwankt, so dass man vor einem Lauf nie genau wusste, ob nun das A-Rigg oder das B-Rigg besser passen würde. In einigen Läufen war es so wechselhaft, dass man schon ein sehr glückliches Händchen und ein wenig Mut zum Risiko brauchte, um das richtige Rigg zu treffen. Sonst war man gnadenlos verloren! Entweder fuhren einem die anderen um die Ohren, weil sie sich für das größere Rigg entschieden hatten, oder das Boot steckte nur noch und liess sich kaum noch manövrieren, weil der Wind für das große Rigg einfach zu stark war. Mitten in diesem Chaos hat sich an der Spitze ein ganz schön harter Zweikampf entwickelt. Am letzten Tag war Graham Bantock auf dem dritten Platz schon fast abgeschlagen, dafür ging es zwischen den ersten beiden, Martin Roberts aus England und Guillermo Beltri aus Spanien ziemlich heiß her. Jeder Punkt zählte, um jeden Zentimeter wurde gekämpft. Vor den letzten beiden Läufen sah es eigentlich danach aus, als ob Guillermo Beltri sich diesen Titel holen sollte. Er hatte einige Punkte Vorsprung, da er bis auf einen Lauf immer unter den ersten Vieren ins Ziel gekommen ist. Aber abgerechnet wird zum Schluss! In den letzten beiden Läufen konnte Martin Roberts mit der vollen Unterstützung seiner englischen Teamkameraden rechnen, die den Spanier soweit es möglich war abgeschirmt haben. Nicht, dass irgend jemand unfair gesegelt wäre, nein, nur hart am Limit und unter voller Nutzung der Regeln. Am Ende hatte Martin Roberts die Nase ganz knapp um einen einzigen Punkt vorne.
Ganz oben auf dem Treppchen hat er bei der abendlichen Abschlussfeier seinen Pokal entgegengenommen. Aber etwas fehlte noch, um aus ihm einen wirklichen Europameister 2000 zu machen. Richtig, die Taufe! Und dafür sorgten nach der Siegerehrung seine englischen Teamkameraden. An allen Vieren wurde er quer übers Regattagelände geschleppt, um dann mit Schwung ins kalte Wasser befördert zu werden. Nach einem gelungenen Vier-Gänge-Menü, Wein, Volkstanz und viel guter Laune wurde noch ein paar Stunden gefeiert, bis die EM 2000 langsam ausgeklungen ist.
Aber was gab es Neues zu sehen auf der EM? Eigentlich gar nicht so viel. Der TS-2-Boom hat offenbar zumindest in europäischen Gefilden nachgelassen. Es waren lange nicht so viele Skiffs am Start wie noch im letzten Jahr auf der Weltmeisterschaft auf Malta. Stattdessen scheint sich ein gesunder Mittelweg zwischen den anfangs ganz schmalen Rümpfen und den extrem breiten Skiffs der letzten Saison durchzusetzen. Bezeichnend dafür die doch recht große Anzahl IKONs, konstruiert von Graham Bantock, die bei dieser EM am Start waren. Auch eine ganze Menge anderer Konstruktionen, wie z. B. die GADGET, mit der Martin Roberts die Regatta gewonnen hat, oder auch die TEST 5 von Jens Amenda schlagen diesen Weg ein. Einen etwas anderen Weg hat Graham Bantock selbst auf dieser Regatta gewählt. Da der See von der Weltmeisterschaft 1994 als Leichtwindgewässer bekannt war, hat er eigens für diese Europameisterschaft die ITALIKO entwickelt. Der Rumpf hat die gleichen Grundzüge der IKON, ist jedoch eine ganze Ecke schmaler und läuft bei leichtem Wind auch sehr gut. Allerdings hat er sich bei den Bedingungen dieses Mal ein wenig verkalkuliert. Denn der leichte Wind, für den dieses Boot gedacht war, blieb aus. Stattdessen gab es ja kräftigeren Wind, der der IKON einen deutlichen Vorteil einbrachte.
In Sachen Segel gab es keine großen Errungenschaften. Einer der französischen Segler hatte sich die Mühe gemacht, ein Vorsegel aus einer Folie anzufertigen, die den Rettungsdecken in den Verbandskästen ähnelt. Allerdings stand diese Fock nicht allzu gut. Also werden die Segel wohl auch weiterhin aus Zeichenfolie, für Stärkeren Wind auch aus Gittermylar oder anderer Gewebefolie hergestellt werden.
Tja, soweit zur Europameisterschaft 2000. Zum Schluss noch ein paar Platzierungen, ein großes Lob und ein noch größeres Dankeschön an alle, die diese EM zu einem tollen Ereignis gemacht haben.
Vollständige Ergebnisliste 34.54 Kb
Original erschienen in der Zeitschrift Schiffsmodell des Neckar-Verlags 10/2000 Autor: Sonja Bohn.
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