Modellsegeln im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Ein Erlebnisbericht von Jochen Weiß (G72) über die World Championships 1992 in New York - Long Island (Eisenhower Park) vom 12.9.1992-19.9.1992
Marblehead-weltmeisterschaft in den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und dem besonderen, anderen „Way of Life". Ganz besonders und ganz anders waren sie dann auch, die World Championships 1992, die vom 12.9.1992 bis zum 19.9.1992 im Eisenhower Park auf Long lsland stattfanden. Es waren insgesamt 16 Nationen gemeldet, Japan, Australien, Neuseeland, Brasilien, Argentinien, England, Frankreich, Spanien, Norwegen, Schweden, Canada, Südafrika, Portugal, Finnland, USA und Deutschland mit insgesamt 69 Teilnehmern.
Ganz sicher hatte jeder Segler, ob Teilnehmer oder Begleitperson, gewisse Vorstellungen und Erwartungen in diese WM gesetzt, gerade weil New York der Austragungsort war und die Amerikaner für gute Veranstaltungsorganisationen bekannt sind. Doch diese Erwartungen wurden aus deutscher Sicht bei weitem nicht erfüllt. Keiner von uns hatte gedacht, daß die amerikanische Vorstellung vom Modellsegeln so gar nicht der deutschen, ich möchte sogar sagen der europäischen, entspricht. Nun ja, dabeisein ist alles, und das Land ist allemal eine Reise wert.
Um ein solches Abenteuer mitzumachen, bedarf es einiger Vorbereitungen. Als die deutschen Teilnehmer für diese WM gefunden waren (ermittelt durch eine deutsche Rangliste, die für beide Verbände nauticus und DSV verbindlich ist), traten schon die ersten Schwierigkeiten auf Flug, Mietwagen, Schifftransport und Hotel mußten organisiert werden. Inklusive Begleitpersonen wurde die Zahl der Mannschaft mit zehn Personen ermittelt, wovon sieben Teilnehmer waren. Unter ihnen Elke Wissmann aus Detmold, Wolfgang Krüll aus Neuss, Rainer Renner aus Braunschweig, Werner Gerhardt aus Kiel und Janusz Walicki, Klaus Schröder und ich aus Hamburg.
v.l.: W.Gerhardt, K.Schröder, E.Wissmann, H.Papke, F.R.Renner, M.Eggers, J.Weiß, J.Walicki, W.Krull, L.Gerhardt
Das Problem des Transportes konnte durch Janusz' Flugerfahrung nach Australien schnellstens gelöst werden. Die Ski-Box für das Auto war seine rettende Idee. Zwei komplette Schiffe passen inklusive Masten, Ständer, Kiele und Fernsteuerungen in eine 230 cm X 50 cm X 30 cm (Länge X Breite X Höhe) große Ski-Box. Ein weiteres Problem war die Anmeldung der Teilnehmer, d. h. Quarze, Startnummern usw. An dieser Stelle einen Dank an unseren Segelfreund Klaus Schröder der durch zahlreiche Telefonate und Telefaxe mit dem Veranstalter diese bürokratischen Arbeiten für die ganze Mannschaft bestens im Griff hatte. Die nächste Fragestellung, die einer Klärung bedurfte, war dann: Wie kommen wir nun vom Flughafen inkl. Gepäck, Booten und Personen nach Long lsland zum Hotel (immerhin Ca. 80 Meilen)? Wir entschlossen uns dann, für die Mannschaft zwei große Vans zu mieten. Einen für das Gepäck und den anderen für den Personentransport. Dieses war praktischer, kostengünstiger und vor allem gruppendynamischer als einzelne Pkws. Nachdem sich dann auch noch jeder mit einem 110-V-Ladegerät ausgerüstet hatte, kam der Tag der Abreise immer näher.
Donnerstag, 10.9.1992: 12.30 Uhr Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel. Außer Elke und Wolfgang, die erst am Freitag aus Düsseldorf abflogen, traf sich der Rest der Mannschaft am Check-in-Schalter. Zugegeben, die Dame beim Einchecken schaute schon etwas verwirrt, als wir plötzlich zwei riesige "Hartschalenkoffer" und eine für das siebte Boot gebaute Holzkiste als Gepäck aufgeben wollten. Da die Überlängen jedoch angemeldet waren, gab es keine Probleme. Lufthansa LH 406 startete pünktlich um 13.40 Uhr zu einem 8 1/2stündigen Direktflug nach New York.
Ankunft am Flughafen Newark um 16.25 Uhr Ortszeit. Die Zeitverschiebung beträgt sechs Stunden. Glücklich, mit unseren Ski-Boxen und Koffern durch den Zoll gekommen zu sein, mußte nun die Mietstation unserer Autos ausfindig gemacht werden. Vier von uns schnappten sich einen Shuttle-Bus, der uns direkt zur nahegelegenen Mietstation brachte, während der Rest am Flughafen über das Gepäck wachte. Nach "nur" 1 1/2 Stunden kamen wir mit den beiden Vans zurück und starteten nach der Gepäckverstauung in Richtung Long lsland. Eine Ca. 2 1/2stündige Autofahrt lag vor uns.
Um 22.00 Uhr Ankunft im Radisson Plaza, einem modernen, wirklich schönen Hotel. Es war die Herberge für fast alle WM-Teilnehmer und Jurymitglieder.
Am nächsten Tag ging es nach dem Frühstück zur Registrierung an den „in nächster Nähe" gelegenen See. Die Fahrzeit dorthin betrug 45 Minuten, ohne Stau . . . Etwas Ratlosigkeit breitete sich dann aus, als wir vor Ort die Anlage, das Gewässer und die Einrichtungen sahen. Der See lag mitten im Eisenhower Park in einer Senke, umgeben von einer Vielzahl hoher Bäume und Büsche. Ein ungünstigeres Gewässer hätte
man eigentlich gar nicht auswählen können, um eine Weltmeisterschaft auszurichten. Es war klar, daß thermische, drehende und nicht vorhandene Winde diese Veranstaltung sportlich zum Scheitern verurteilen werden. Ein fairer Vergleich der weltbesten Modellsegler war von vornherein nicht gewährleistet. Nach dieser ersten Enttäuschung gingen wir zur Registrierung und versuchten anschließend, unsere Segel vermessen zu lassen. Nach längerem Warten und mehrmaligem Nachfragen sagte man uns, daß ein Vermessen in der gewohnten Form nicht stattfindet, sondern nur in Form von Stichproben. Bis auf Werner und Janusz, die den Rest des Tages mit Training am See verbrachten, fuhr der Rest der Mannschaft ins Hotel zurück.
Am Abend dann das große Welcome-Dinner im Hotel Radisson-Plaza. Fein gekleidet erschienen wir pünktlich in der Hotelhalle. Dort erfuhren wir, daß die Party in eine Suite im 3. Stock verlegt wurde. Dort erwarteten uns ein paar kalte Getränkedosen, ein wenig Sekt, eine Rohkostplatte und ein viel zu kleiner Raum. So mischten wir uns dicht gedrängt unter die Leute. Wir waren uns einig, daß dieses Treffen, bei einer Dose Cola und rohem Blumenkohl, nicht mit unserer Vorstellung einer Welcome-Party übereinstimmte. Wir hoffen auf Sonntag, denn da sollte die große Eröffnungsfeier alles rausreißen.
Am Sonntagmorgen begann die Eröffnungsfeier erst einmal eine halbe Stunde zu spät. Die Teilnehmer sammelten sich auf einer Rasenfläche vor einer großen Open-Air-Bühne und warteten geduldig auf den Beginn. Da ich zum Mannschaftsführer demokratisch bestimmt wurde, sollte ich später auch die Fahne über die Bühne tragen dürfen, gefolgt von dem Rest Nationalhymne trotteten wir bereitwillig mit einer Tischfahne bestückt über die Bühne. Die anderen Nationen taten Gleiches. Nach ein paar Dankesreden war die Eröffnungsfeier nach Ca. 45 Minuten überstanden.
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Nun zum sportlichen Teil der Veranstaltung. Gesegelt wurde auf dem ohnehin schon viel zu kleinen See auf zwei Kursen, einem roten und einem grünen Kurs. Es gab 5 Gruppen a 14 Boote. Die Teilnehmer wurden an der Starttafel in entsprechenden Gruppen und Kursen ausgehängt. Eine Information über Zieleinläufe und aktuellen Punktestand gab es jedoch erst am vorletzten Tag der Veranstaltung. Ein Lautsprechersystem, welches auch den ganzen Veranstaltungsort abdeckt, gab es natürlich auch nicht, so daß der Informationsfluß Veranstalter - Teilnehmer zum Teil auf der Strecke blieb. Man behalf sich mit einem alten Megaphon. Lediglich das Startband hörte man über einen Lautsprecher je Startstelle, wenn die Technik nicht gerade mal versagte. Zwei Startstellen, zwei Kurse, eine Jury und ein nicht funktionierendes Computerprogramm - das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Der erste Tag ging aber für das deutsche Team sportlich relativ gut zu Ende.
Am nächsten Morgen um 6.00 Uhr aufstehen, um inklusive Frühstück und Fahrtzeit auch pünktlich zum skippersmeeting um 8.30 Uhr am See zu erscheinen. Mit einer Stunde Verspätung wurde die Wettfahrt dann fortgesetzt. Gerade die Morgenmuffel unter uns waren leicht gereizt und konnten nicht verstehen, weshalb sie nun so früh aufgestanden waren. Diese Startverspätung sollte dafür auch nicht die letzte gewesen sein.
Es kam, wie es kommen mußte. Durch Auf- und Absteigen in den einzelnen Gruppen mußten nach jedem Lauf die Gruppen neu zusammengestellt werden. Dieses ging aber nur, wenn anfallende Protestverhandlungen von der Jury entschieden waren. Da auch das Zeitlimit von 20 Minuten pro Protest bei weitem nicht eingehalten wurde, begannen sich die Wartezeiten zwischen den Läufen zu verdoppeln, ja sogar zu verdreifachen. Ein bis eineinhalb Stunden waren keine Seltenheit. Erst als man diesen Mißstand erkannte und versuchte, einzelne Gruppen vorzuziehen, um die Wartezeiten zu verringern, war die Katastrophe perfekt. Dieses zog sich bis zum vorletzten Regattatag durch die gesamte Regatta hindurch.
Am 3. Tag eskalierte die Veranstaltung. Die Starttafel wurde, wenn überhaupt, unzureichend geführt, Zieleinläufe wurden unkorrekt aufgeschrieben, ein aktives Schiedsrichterteam war überhaupt nicht mehr zu erkennen, und Frühstarts sowie Tonnenberührungen wurden gar nicht erkannt. Hier ein kleines Beispiel: Janusz, der an der Starttafel irrtümlich in der B-Gruppe hing, startete trotzdem korrekt in der Gruppe A und wurde dann, da er ja angeblich nicht gestartet ist (zumindest in Gruppe B) und folglich in dieser Gruppe den letzten Platz gemacht hätte, einfach als Gruppenabsteiger in die C-Gruppe gehängt. Nur nach heftigsten Protesten und einer fast einstündigen Klärung der Sachlage wurde die Regatta dann fortgesetzt.
Solche und andere Episoden verteilten sich dann gleichmäßig über die ganze Woche. Was ich persönlich sehr positiv fand, war die Idee der Verpflegung der Teilnehmer am Regattagelände. Es sollte morgens ein kleines Frühstück und mittags ein Mittagessen auf dem Regattagelände geben. Am dritten Morgen klappte denn auch schon die Kaffee und Donuts-Versorgung. Und am vorletzten Regattatag hatte man es dann auch geschafft, bei Temperaturen um ca. 30° C die Getränkeversorgung der Teilnehmer ganztägig und nicht nur zum Mittagessen zu gewährleisten.
Einzig gelungen war die am Dienstagabend stattfindende Dampferrundfahrt auf dem East-River, an Manhattan vorbei Richtung Freiheitsstatue und zurück. Dort gesammelte Eindrücke bleiben wohl für jeden New York-Besucher unvergessen.
Das Chaos der vergangenen Regattatage setzte sich nach dem segelfreien Mittwoch am Donnerstagmorgen fort. Startverzögerung, Startbandausfall, stundenlange Protestverhandlungen und damit verbundene Wartezeiten. Der Wind wieder flau bzw. gar nicht vorhanden. Wie in den Tagen zuvor immer die gleiche Situation. Werner und ich waren sportlich der Verzweiflung nahe. Immer wieder lagen wir in unseren Läufen bis kurz vor dem Ziel weit in führender Position, wurden aber wieder einmal ungewollt in ein absolutes Windloch getrieben, so daß das nachfolgende Feld gewarnt war und dieses Windloch umgehen konnte. Folge war, daß fast das gesamte Feld am eigenen Schiff vorbeifuhr und man selber im hinteren Feld des Laufes durchs Ziel ging. Viele werden jetzt denken, daß ein guter Segler auch mit solchen Situationen fertig werden muß, doch darf Glück allein nicht ausschlaggebend sein für den Verlauf einer Regatta.
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Eine ganz wichtige Frage stellt sich bei solchen Veranstaltungen aber immer wieder: Wer bringt denn diesmal technisch etwas ganz Neues? Ganz neu war für mich eine Schiffskonstruktion eines Amerikaners. Unter dem Spitznamen "Yellow-Submarine" fuhr er eine gelbe U-bootförmige Schiffsform mit einer riesigen Nase als Bug. Ein reines Leichtwindschiff mit Swing-Rigg. Ebenfalls neu war für mich auch ein Boot, das sein Ruder statt am Heck, vorne befestigt hatte. Ansonsten war bis auf einige Gewichtsersparnisse im Detail an keinem Boot etwas Neues zu erkennen.
Auffällig war allerdings doch, daß der europäische technische Standard wesentlich höher war als der amerikanische. Amerikanische Schiffe sind rein auf keinen bis leichten Wind ausgelegt. Welten trennen solch ein Boot von einer Bantock- oder Walicki-Yacht. Interessant zu erwähnen ist vielleicht noch das Verhältnis von 1/4 konventionellen Riggs zu 3/4 Swing-Riggs
Samstagmorgen, letzter Regattatag. Es wurde nur noch auf einem Kurs gefahren! So war es dann auch nicht verwunderlich, daß wir bis zum Mittag mehr Läufe geschafft hatten, als sonst an einem ganzen Tag.
Am Abend dann die Siegerehrung und Abschlußabend im Hotel Radisson Plaza. Uns konnte nun wirklich nichts mehr erschüttern. Würde die Siegerehrung wieder in Suite 3068 stattfinden? Nein, es sollte alles ganz anders kommen. Es begann mit einem Essen, das wir ja auch schon bezahlt hatten, in der Hotelhalle. Man hatte dort für die Segler einen Abschnitt reserviert, Tische und Stühle herbeigeschafft und ein kleines Rednerpult mit einem winzigen Lautsprecher aufgestellt. Zusätzlich wurde ein Videofilm gezeigt, der die Woche über auf dem Regattagelände gedreht wurde. Leider konnte man in dem tragbaren Fernsehgerät nicht nur den Ton nicht hören, nein auch die Sicht auf den Bildschirm wurde von herumlaufenden Leuten gestört. Schade eigentlich. Nach dem Essen dann die üblichen Dankesreden des Veranstalters, die man natürlich akustisch kaum verstehen konnte. Wer nun bei der Siegerehrung noch auf eine schöne Urkunde oder eine kleine Erinnerung hoffte, wurde aber auch hier enttäuscht. Außer einem Händedruck und einem Aluplättchen in der Größe einer Zigarettenschachtel, auf dem weder der Name noch die Plazierung eingraviert ist, gab es für ein $85,- Startgeld nichts. Unser Segelfreund Rainer Renner wurde aufgrund des defekten Computerprogrammes vorsichtshalber erst gar nicht aufgerufen und mußte deshalb sein Aluplättchen nach der Siegerehrung in Empfang nehmen. Nicht einmal eine Ergebnisliste stand für die Teilnehmer zur Verfügung, doch wenigstens die Erstplazierten erhielten Preise.
Allgemein läßt sich festhalten, daß in Zukunft die Regattaorte und der Veranstalter sorgsamer ausgewählt werden sollten. Ich weiß, daß dies ein sehr kritischer Bericht ist, doch ich denke, daß wir als deutsche Mannschaft - gerade im Rückblick auf die gelungene Weltmeisterschaft 1988 in Berlin - diese Kritik verteilen dürfen. Insgesamt gesehen war es für die deutsche Mannschaft sportlich kein Erfolg, doch Spaß und Gruppendynamik waren unübertroffen gut.
Original erschienen in der Zeitschrift Schiffsmodell des Neckar-Verlags 1/1993 Autor: Jochen Weiß.
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